Jacob Wick/Christian Weber, Bertrand Denzler/Axel Dörner/Antonin Gerbal - WIM, Zürich - 13. Mai 2016

1. Set

Jacob Wick trumpet (USA)

Christian Weber bass
Jacob Wick trumpet (USA)


2. Set

Bertrand Denzler saxophone
Axel Dörner trumpet (D)
Antonin Gerbal percussion (F)


There we go again ... halbwegs ausgeschlafen, mit mittelmässigen (leider nicht mal alkoholinduzierten) Kopfschmerzen und nach der Schlepperei von Lebensmitteln für die kommenden drei Tage ... gestern also nach viel zu langer Zeit wieder einmal ein Besuch in der WIM, Werkstatt für improvisierte Musik Zürich. Zum Zeitpunkt, auf den die Konzerte angekündigt sind, sind meist mehr Musiker als Zuhörer anwesend, doch gestern trudelten immerhin über ein Dutzend Leute ein. Der Raum ist klein, ein Teil eines alten Industriegebäudes, eine Werkstatt oder Garage wohl, also schön hoch, spartanisch eingerichtet aber dennoch für die Musik, die da geboten wird, perfekt passend. Man kriegt auch einen Becher Wein oder ein gutes Bier und das alles zu für Zürcher Verhältnisse enorm freundlichen Preisen.

Jacob Wick also zum Auftakt - er bestritt die erste Hälfte des ersten Sets solo, auf einer alten Bierkiste sitzend mit seiner Trompete, der er keinen einzigen konventionellen Ton entlockte - nur Luftströme, wobei man von Atem nicht reden kann (aber von "perfect breath control"), denn es gab die permanente Zirkuläratmung. Er schraubte an den Ventilen herum um die Frequenzen zu ändern, es stellte sich die durchaus faszinierende Erfahrung ein, dass bei dieser ganz leisen Tonerzeugung wirklich so etwas wie Musik entstehen würde - ganz leise begannen Töne zu erklingen, bei denen ich mir ehrlich nicht sicher war, ob sie im Raum oder nur in meinem Kopf waren. Man vergass stellenweise selbst das Atmen, traute sich kaum, die einschlafenden Beine umzugruppieren oder gar die Bierflasche auf den Blechtisch zu stellen - jedes Geräusch hätte gestört. Und im Rückblick war auch der witzige Auftakt klar: Wick legte die Hand über die Augen, den Raum absuchend, und fragte: "Has anybody seen LaMonte Young?"

Dann stiess Christian Weber für die zweite Hälfte dazu, der allesverschlingende lokale Bass-Hüne, Jacob Wick begann nun, seiner Trompete auch konventionelle Töne zu entlocken, aber immer mit unsicheren Frequenzen, mit Mikrotönen, er nahm das Mundstück raus, schraubte weiter an den Ventilen herum, nutzte auch die Stimmbögen, seine Hand als Dämpfer etc. Weber passte perfekt dazu, denn auch er entlockt dem Kontrabass allerlei Töne, spielt mit dem Bogen unterhalb des Stegs und strich den Saitenhalter, klöppelt mit Fingernägeln auf den Korpus des Basses, spielt Zwischentöne, schiebt das Ende des Bogens (Frosch, Beinchen, whatever) zwischen die Saiten, bearbeitet die Saiten auch mal mit beiden Händen weit oben auf dem Griffbrett, um dann wieder in die Vollen zu greifen. Die Dynamik war natürlich enorm viel grösser als beim Solo-Set davor, auch die Trompete ging bis an die Schmerzgrenze (wurde immer noch oft im permanenten Klangfluss gespielt, aber es gab auch zwei, drei Pausen, in denen aber nie die Spannung verloren ging). Gegen Ende dann die grosse Überraschung ... klar, das war alles sehr viel "jazziger" als das Solo-Set, aber dass Wick dann tatsächlich verschrobene (mit mikrotonalen Abweichungen versehene) Zitate von "I Can't Get Started" und wenig später "Lush Life" einstreute, war doch einigermassen überraschend.


Nach der Pause folgte ein Trio-Set mit dem Romand Bertrand Denzler am Tenorsaxophon, dem Berliner Kölner (oder anders rum?) Axel Dörner sowie dem französischen Percussionisten Antonin Gerbal (neben Jacob Wick für mich der andere Neue an dem Abend). Im Vergleich zum Duo mit Weber war das eher wieder tastend, langsamer in der Entwicklung, aber auch wieder von einer grossen Bandbreite, klanglich, dynamisch, energetisch. Dörner spielte eine modifizierte (?) Trompete mit den üblichen drei Ventilen und einem Zug wie bei einer Slide-Trompete, was ihm erlaubte, die Tonhöhe mehr oder minder lückenlos zu verändern, aber auch Vierteltonläufe einzustreuen (Don Ellis lässt - aus der Ferne - grüssen, aber der hatte dafür ein viertes Ventil). Denzler hat einen tollen, durchaus robusten Ton am Tenor, der auch immer wieder zum Vorschein kam, spielte aber - wie Dörner auch - ebenfalls mit Atemklängen, mit unkonventionellen Tönen in der hohen Lage, nahm das Mundstück ab oder stellte es quer um dann sein Instrument vor dem blasenden Mund hin- und herzubewegen. Gerbal sorgte dahinter mit einer Snare, einem Standtom (nicht auf Füssen sondern auf einer weiteren alten Bierkiste) und einem Becken, das erst spät überhaupt zu Einsatz kam für eine Art Puls, eine Struktur auf der Zeitachse, die durchaus zur dritten Stimme im Konzert wurde und den anderen auch Möglichkeiten öffnete, ohne dass es jemals zu einem klassisch jazzigen Interplay gekommen wäre. Faszinierend einige Momente, in denen Dörner und Denzler plötzlich auf demselben Ton landeten und ihre Stimmen förmlich verschmolzen und eins wurden.

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