Unerhört 2015: Irène Schweizer/Joey Baron, William Parker, Marc Copland Quartet - Rote Fabrik, Zürich, 27. November 2015

Freitagabend in der Roten Fabrik gab es dann den ersten grossen Festival-Abend mit drei Formationen. Den Auftakt machte das Duo Irène Schweizer-Joey Baron. Es war Schweizers grosser Wunsch, ihre Reihe von Duos mit Drummern mit Joey Baron fortzusetzen. Die Hoffnungen waren gross, zumal ich beide sehr mag, doch wie sie zusammenfinden sollten, war mir nicht ganz klar - und das Konzert hat das letztlich auch nicht geklärt, muss ich im Rückblick sagen. Es begann zunächst zögerlich, als wolle Schweizer ihren Gast nicht zu sehr herausfordern, ihn nicht vor fertige Tatsachen stellen. Stattdessen ein Motiv da, ein paar geklimperte Töne dort, ein stark rhythmisierter Melodiefetzen, eine leicht versetzte Repetition ... wartend auf Reaktion von Baron, der dann irgendwann einfach zu spielen anfing - was natürlich schon den Besuch des Konzertes lohnte, klar, der Mann ist umwerfend. Nach wohl 15 Minuten ging es dann langsam zur Sache, das Einspielen war vorbei und das Zusammenspiel klappte leidlich gut, Baron eruptiv wie immer, wie unzähligen Einfällen, immer wieder der schiere Aberwitz. Schweizer kam dann auch in die Gänge, spielte ihre Motive und Phrasen auf insistierende, immer härtere Weise. Man spielte Time und auch nicht, und ich bin mir nicht sicher, ob da der Kern des trotz der guten Entwicklung irgendwie fortbestehenden Problems war. Ich höre Baron als einen Jazz-Drummer, der Time spielt, mit Time spielt, ausbricht, zurückfindet, mit den anderen Musikern spielt und gegen sie, sie umschmeichelt und vor den Kopf stösst, sie streichelt und ihnen dann unvermittelt eine reinknallt, um gleich wieder zum schnurrenden Kätzchen zu werden ... Schweizer kann Time spielen, aber meistens will sie wohl anderes und ihr Time ist auch nicht so flexibel, dünkt mich, wie Barons. Aber gut, mit Bennink z.B. klappt es ja ganz wunderbar, aber der ist halt im freien europäischen Jazz ebenso daheim wie Schweizer. Die erste Zugabe war dann eine bekloppte Idee, ein hüftsteifer 12-Takt-Blues, in dem die beiden komplett aneinander vorbeispielten, Baron versuchte wohl eine Art Catlett/Krupa-Hommage zu trommeln, aber das ging mit dem Klavier zusammen gar nicht. Zum Glück spielten sie noch eine zweite Zugabe und da war alles wieder im Lot - in den Zugaben quasi nochmal die Entwicklung des Sets gespiegelt, irgendwie passend.

Dann war William Parker an der Reihe - solo, Kontrabass und Gesang. Ich bin nun ja erklärtermassen kein grosser Fan von ihm, war aber gespannt und sass, so bilde ich mir das wenigstens ein, mit offenen Ohren und offenem Herzen da, auf das harrend, was kommen mochte und mich vielleicht doch noch eines Besseren belehren würde. Doch leider weit gefehlt. Parker sang einfache Verse, politisch aufgeladene Programmusik, die Stücke bestanden aus zweieinhalb Tönen (die letzten drei Stücke - seine launige Absage zum Schluss war dann der Höhepunkt des Sets - bestanden alle aus dem gleichen einen Ton). Aber gut, soweit kein Problem, WAS er spielte gefiel mir nicht schlecht, der Gesang, die Worte, das alles war durchaus stimmig (wenngleich nicht mein paar Schuhe), aber das WIE ... sein Bass hatte null Körper, keine Resonanz, klang völlig flach, da war kein Vibrieren in der Luft, nichts. Quasi die Konzertversion einer digitalen CD-Aufnahme aus den späten Achtzigern. Dann griff er auch noch öfter zum Bogen, um auf seinem Bass herumzuschaben, der alte "Fingernägel auf der Wandtafel"-Effekt ... nunja, der Tiefpunkt des Festivals, und das nach einem schon holprigen Einstieg, ich begann fast schon, vom Glauben abzufallen.

Den Abend beschloss dann eine Gruppe, die eigentlich gar nicht in den Rahmen passten, das Marc Copland Quartet mit dem Trompeter Ralph Alessi, Drew Gress am Bass und - erneut - Joey Baron am Schlagzeug. Die vier spielten eine Art abgehärtete (sie sind ja Ostküsten-Amis) Version eines Existentialistenjazz à la Rava oder Stanko, allerdings geht Alessi jede spielerische Ader völlig ab. Das war Post-Bill-Evans-Jazz, in der romantischen Ecke gefangen und irgendwie fehl am Platz am Unerhört. Sehr gut waren allerdings Drew Gress am Bass und erneut Joey Baron. Die beiden versuchten hartnäckig, das Geschehen zu beleben, aber Copland nahm sich viel zu sehr zurück, wurde quasi zum Statisten in seiner eigenen Band, während Alessi irgendwie auf keinen grünen Zweig kam. Der Kontrast von Gress' Ton und Wumms am Bass zum fahlen Parker davor war übrigens immens, schon die paar Töne, die er Griff, um zu überprüfen ob das Instrument noch gestimmt war ... wie Tag und Nacht. Aber gut, damit endete ein mittelprächtiger Abend, es blieb letztlich die zweite Hälfte bzw. die zwei letzten Drittel von Schweizer/Baron, die man mitnahm.

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